Der rote Baum
Einen Ort wahrnehmen
als wahr nehmen
in seiner Einzigartigkeit und Vergänglichkeit
Formen, Farben, Licht und Umgebung
in ihren sekundenschnellen Veränderungen.
Einen Ort ehren
Vergänglichkeit sichtbar machen
vorsichtig in ihn hineingehen
und ganz in ihm sein.
Einleitung
12. September 1996
Mein erster Besuch am roten Baum.
Er hat den Ort verändert.
Überall in der Umgebung entdecke ich die Farbe Rot.
In den grünen Sträuchern leuchten rote Pfaffenkäppchen und einzelne Blätter in den Buchen sind rostrot geworden.
14. September 1996
Strömender Regen.
Der Baum ist triefend nass und glänzt.
Wie dunkles, rostiges Eisen.
An einigen Stellen hat der Stamm offene blutende Wunden.
Ein Ungeheuer, das seine Arme bedrohlich in den Himmel reckt.
27. September 1996
Ein stiller Herbsttag wie aus Glas.
Die Natur hält den Atem an.
Fahles Rot in den Bäumen ringsum.
Der Baum verschmilzt immer mehr mit seiner Umgebung.
Orangerote Wolken spielen am Abendhimmel.
Die Wälder unten am See sind in goldenes Licht getaucht.
15. November 1996
Schnee ist in den letzten Tagen gefallen.
Wuchtig nass liegt der Baum am schneeweißen Hang.
Schweres, triefendes, eisernes Holz.
Das Rot ist dunkelviolett geworden.
Dichte Schneeflocken fallen aus dem Himmel und Nebel kriecht durch die Wälder.